Am Mittwoch #b1902 versammelten sich laut Polizeiangaben rund 5.300 Menschen, um den Opfern des rechtsextremen Terroranschlags in Hanau zu gedenken. Die Demonstration stand unter dem Motto: „5 Jahre Gedenken an den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau 2020“ und führte vom Sonnen Center über die Sonnenallee, durch die Anzengruberstraße bis zur Karl-Marx-Straße/Alfred-Scholz-Platz.

Erinnerung an die Opfer des Anschlags
Vor fünf Jahren ermordete der rechtsextreme Attentäter Tobias Rathjen in Hanau aus rassistischen, antisemitischen, verschwörungsideologischen und frauenfeindlichen Motiven neun Menschen sowie seine Mutter. Während der Gedenkveranstaltung wurden die Namen der Opfer mehrfach verlesen, ihre Geschichten erzählt und an ihr Schicksal erinnert.
Die neun Ermordeten waren:
Said Nesar Hashemi, Hamza Kenan Kurtović, Ferhat Unvar, Sedat Gürbüz, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Vili Viorel Păun, Kaloyan Velkov

Besonders Vili Viorel Păun wird als Held der Zivilcourage in Erinnerung behalten. Er verfolgte den Täter, versuchte die Polizei zu alarmieren und wurde schließlich kaltblütig durch die Windschutzscheibe seines Autos erschossen.
Ein oft übersehenes Opfer des Anschlags ist die Mutter des Täters, Gabriele Rathjen. Obwohl sie selbst von ihrem Sohn ermordet wurde, wird sie in der öffentlichen Debatte häufig nicht als Opfer anerkannt, da sie mit ihm verwandt war.
Kritik an Rassismus und staatlichem Umgang
Neben dem Gedenken bot die Demonstration migrantischen Perspektiven Raum. Rednerinnen berichteten über die Angst vor rechtem Terror, Alltagsrassismus und staatlicher Willkür, die sich seit Hanau weiter verschärft hätte. Insbesondere Abschiebungen und pauschale Verdächtigungen von Migrantinnen und Geflüchteten wurden kritisiert.

Auch die politische Debatte nach islamistischen Terroranschlägen wurde thematisiert. Redner*innen prangerten an, dass solche Ereignisse oft genutzt würden, um restriktivere Maßnahmen gegen Migrantinnen zu fordern, während rechte Gewalt nicht mit gleicher Konsequenz verfolgt wird.
Immer wieder wurde die Frage gestellt: „Wie viele Menschen müssen noch sterben, bevor effektive Maßnahmen gegen rechten Terror ergriffen werden?“ Kritisiert wurde auch die mangelhafte Aufarbeitung der Tat und das Verhalten der Sicherheitsbehörden.
Einige Redebeiträge setzten sich kritisch mit der Polizei auseinander. Eine Rednerin äußerte, dass die Aufrüstung und Ausweitung der Polizeibefugnisse nicht der Sicherheit diene, sondern zur Überwachung und Unterdrückung von Protesten gegen bestehende Missstände genutzt werden.

Politische Spannungen und antisemitische Vorfälle
Wie jedes Jahr riefen die Angehörigen der Opfer dazu auf, das Gedenken nicht für andere politische Zwecke zu instrumentalisieren. Dennoch kam es vorwiegend im hinteren Teil der Demonstration zu problematischen Vorfällen.
Einige Teilnehmende skandierten verbotene Parolen und verherrlichten den Terrorismus der Hamas als Widerstand. Zudem wurden mehrfach Slogans gerufen, die zur Vernichtung Israels aufriefen. Die Polizei versuchte über die Veranstaltenden und Ordner*innen einzuwirken, konnte das Skandieren jedoch nicht vollständig unterbinden. Dieses lag vornehmlich auch an der nicht selbstständigen Distanzierung der in der Forderung stehende genozidiale und israelbezogende-antisemitische Parole „from the river to the sea“. Sie verwiesen, dass die Auflage von der Polizei und nicht ihnen kommt und badeten sich zugleich darin, als danach „ganz Berlin hasst die Polizei“ und andere polizeifeindliche Parolen skandiert wurden als Antwort darauf.

Zudem waren auf Transparenten immer wieder klare Bezüge zum Nahostkonflikt und antisemitische Gewaltaufrufe zu sehen. So stand auf einem Transparent: „From Berlin to Gaza – Antifa Intifada.“ Die Intifada ist ein bewaffneter Aufruf der PLO und anderer antisemitischer Terrororganisationen, der weltweit zur Gewalt gegen Juden aufruft – genau das wird durch das Transparent unterstrichen. Auch in verschiedenen Parolen wurde zur Intifada aufgerufen und sie verherrlicht.

Ein weiteres Transparent lautete: „Von Hanau bis Gaza – Blut klebt an euren Händen.“ Ein anderes, auffällig in grüner Farbe gestaltet, trug die arabische Aufschrift: „Palästina, Palästina, Gehorsam.“ Ergänzt wurde dies durch ein Emblem, das marschierende Menschen mit einer sogenannten Palästina-Flagge auf einem Weg zeigte und welches mit einem Kreis geschlossen wurde. Warum ist das bemerkenswert? Erstens steht die Farbe Grün für die Hamas, der gegenüber „Gehorsam“ gezeigt werden soll. Zweitens wurde die sogenannte Palästina-Flagge im historischen Kontext als Symbol des Kampfes gegen Israel und für dessen Vernichtung entworfen.

Auch die innenpolitische Spaltung wurde auf der Demonstration sichtbar und hörbar. So war auf einem Plakat zu lesen: „AntiD sind bei ACAB mitgemeint“, während mehrfach der Slogan „Antideutsche sind keine Linken“ skandiert wurde. Antideutsche positionieren sich solidarisch mit dem Staat Israel und erkennen sein Existenzrecht an – eine Haltung, die innerhalb der Linken umstritten ist. Für große Teile der linken Szene gilt Israel als imperialistisches Bollwerk der USA, dem eine Apartheid-Politik gegen Araber vorgeworfen wird.

Bereits zu Beginn der Demonstration wurde die verbotene, als verfassungsfeindlich eingestufte Gruppe Samidoun beklatscht – als klares Zeichen der Solidarität mit Samidoun und gegen das Verbot.
Angesichts dessen das die Migrantifa Ausrichter war der Demonstration, welche zusä mit einen breiten Bündnis auf die Beine gestellt wurde darunter „Young Struggle“, KGO, MLKP/KKÖ, SDAJ ist die Stoßrichtung der Demonstration mit Hang vor allem israelbezogenen Antisemitismus nicht verwunderlich, sondern viel mehr vorher bestimmt gewesen.
Gegenkundgebung und rechtsextreme Provokationen
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite fand eine kleine Gegendemonstration mit zwei Personen statt. Eine davon hielt eine Israel- und eine IDF-Flagge hoch und gedachte des von einem Islamisten ermordeten Polizisten Rouven Laur. Der Polizist wurde während seines Dienstes von einem Islamisten mehrfach in den Kopf gestochen. Der Angreifer griff eine Kundgebung der rechtsextremen Bürgerbewegung Pax Europa e. V. (BPE) an, die vom Verfassungsschutz beobachtet und als rechtsextrem eingestuft wird.
Die Protestaktion, die während der Demonstration zum Gedenken an die Opfer des rechtsextremen Terroranschlags in Hanau stattfand, ist eine Form des Whataboutism. Sie suggerierte – zumindest von außen betrachtet – eine Relativierung des rechten Terrors nach dem Motto: „Sowas kommt von sowas“. Dabei wurde bewusst ausgeblendet, dass zwischen der islamistischen Tat und dem rechtsextremen Anschlag in Hanau über vier Jahre liegen und es sich um grundlegend unterschiedliche Kontexte handelt.
Viele empfanden diese Aktion als gezielte Provokation. Doch sie war mehr als das: Sie stellte eine Instrumentalisierung Israels, der IDF und des ermordeten Polizisten dar, um Stimmung gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu machen. Jegliche kritische Auseinandersetzung mit der Tat oder ihrem politischen Kontext fehlte – stattdessen wurde der Gedenktag genutzt, um gegen Migrant*innen zu hetzen.
Allerdings hätte es durchaus eine berechtigte Kritik an der Gedenkdemonstration geben können. Denn sie wurde dem Wunsch der Hinterbliebenen der Opfer von Hanau, die Toten in würdiger Weise zu ehren und das Gedenken nicht für andere politische Zwecke zu missbrauchen, nicht gerecht.
Ehemalige Teilnehmende berichteten uns, dass sie die Demonstration aufgrund antisemitischer Parolen sowie der politischen Instrumentalisierung des Gedenkens verließen – oder bereits im Vorfeld fernblieben. Denn es ist nicht das erste Mal, dass das Hanau-Gedenken für Debatten über Palästina und israelbezogenen Antisemitismus missbraucht wurde.
Auch rechtsextreme Störer tauchten mehrfach auf. Ein Mann lief mit einem Hund an der Demonstration vorbei, rief „Lüge, Lügner, alles Lügen“, zeigte den Mittelfinger und verwendete rechtsextreme White Power Symbole. Zudem äußerte er Sympathie für den faschistischen AfD-Streamer Weichreite, welcher die Demonstration abfilmte und kommentierte.

Polizeieinsatz und Bilanz
Die Polizei führte neun freiheitsbeschränkende Maßnahmen durch.
Von vier Personen wurden 30 kurze Hölzer, an denen rote Fahnen befestigt waren, beschlagnahmt, da diese als potenzielle Schlagwerkzeuge gewertet wurden. Eine Person wurde festgenommen, weil sie wiederholt verbotene Parolen skandiert hatte. Eine weitere Person wurde abgeführt, da gegen sie ein Teilnahmeverbot für die Demonstration bestand.

Im hinteren Bereich der Demonstration kam es zu mehreren Konfrontationen mit der Polizei. Ein Block von etwa 100 vermummten Personen versuchte, die Einsatzkräfte durch Drängen und Schieben zurückzudrängen, woraufhin die Polizei mit gleichen Maßnahmen reagierte und teilweise Schläge einsetzte. Dabei kam es zu drei weiteren Festnahmen.

Laut Zeug*innenberichten wurde in einem Fall übermäßige Polizeigewalt angewendet. Ein Demonstrant soll bereits am Boden liegend mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden sein. Demosanitäter versorgten einige wenige verletzte Personen mit Prellungen.
Trotz dieser Vorfälle verlief die Demonstration insgesamt weitgehend friedlich und endete planmäßig auf der vorgesehenen Route.
