Einen Tag nach der Bundestagswahl schwankt Deutschland zwischen Ernüchterung und Erschütterung. Mit 82,5 % war die Wahlbeteiligung so hoch wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr – ein Zeichen für das gestiegene politische Interesse der Bevölkerung. Gleichzeitig verlieren die einst dominierenden Volksparteien weiter an Zustimmung.

Die AfD konnte ihr Wahlergebnis im Vergleich zur letzten Wahl nahezu verdoppeln und erreichte 20,8 %. Damit bestätigten sich die Befürchtungen, die bereits bei den Großdemonstrationen gegen Rechts Anfang Februar in Berlin geäußert wurden. Besonders in den neuen Bundesländern wurde die AfD mit durchschnittlich 32 % der Stimmen stärkste Kraft. Das bedeutet: Fast jede*r Dritte dort wählte die Partei.

Die SPD kam auf 16,41 % der ausgewählten Stimmen und wurde drittstärkste Kraft.
Ihr folgte das Bündnis 90/Die Grünen mit 11,61 % aller Stimmen.

Die Linke schaffte mit 8,77 % nun wieder den direkten Einzug in den Bundestag und wurde in Berlin mit 19,9 % stärkste Kraft – ein klares Signal aus der Hauptstadt, wo jede*r Fünfte für Die Linke gestimmt hat. Es folgten die CDU mit 18,3 % und die AfD mit 16,8 %.

Der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) schaffte es, mit einem Direktmandat, mit einem Platz im Bundestag.

Die Sitzverteilung der Parteien sieht wie folgt aus:

• 208 CDU/CSU
• 152 AfD
• 120 SPD
• 85 Bündnis 90/ Die Grünen
• 64 Die Linke
• 1 SSW


Deutschland hat damit eine gesicherte rechtsextreme Partei in den Bundestag, als zweitstärkste Kraft einziehen lassen – eine Entwicklung, die weitreichende politische Konsequenzen haben wird.

CDU bleibt unter Erwartungen – schwierige Regierungsbildung



Die CDU blieb mit 28,52 % hinter den erhofften 30 % zurück. Sie ist zwar stärkste Kraft und formell Wahlsiegerin, doch eine Zweierkoalition wäre nur mit der AfD möglich – eine Option, die eine klare Spaltung zwischen antifaschistischen Grundwerten und erstarkendem Rechtsextremismus bedeuten würde.

Die Zahl der Wähler*innen, die durch fremdenfeindliche Rhetorik mobilisiert wurden, war seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr so hoch. Die CDU kehrt mit Friedrich Merz an der Spitze zu ihrer rechts-konservativen Ausrichtung der späten 1990er-Jahre zurück – ein Kurs, der sie in kürzester Zeit wieder zur stärksten Partei gemacht hat.

Wie wird sich Merz entscheiden?



Nach der Wahl stellt sich nun die Frage, ob Merz seine „Brandmauer“ zur AfD endgültig einreißt und mit ihr koaliert – oder ob er sich für ein Dreierbündnis mit SPD und Grünen entscheidet.

Eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen käme auf 56,54 % der Sitze im Bundestag. Eine Zusammenarbeit mit der AfD würde der CDU und der extremen Rechten hingegen 49,32 % sichern – ausreichend für eine Regierungsbildung, aber politisch höchst umstritten.

Selbst wenn Merz die AfD aus der Regierung heraushält, hätte diese mit 20,8 % erheblichen Einfluss. Gemeinsam mit der Linken, die auf 8,77 % kommt, könnte sie etwa Waffenlieferungen an die Ukraine blockieren – zusammen hätten sie 29,57 % der Sitze. Noch bedeutender ist der Einfluss im Bundesrat: Dort ist die AfD inzwischen in fünf von 16 Bundesländern stärkste Kraft. Die Linke kann ein Bundesland für sich beanspruchen, sodass beide Parteien zusammen über Blockademöglichkeiten in sechs Bundesländern verfügen.

Entweder wird die AfD also ein unbequemer Partner der Union – oder sie wird als größte Oppositionskraft die Regierung massiv unter Druck setzen.

BSW und FDP verpassen den Einzug in den Bundestag



Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) scheiterte mit 4,97 % denkbar knapp an der 5-%-Hürde und verfehlte den Einzug in den Bundestag um nur 0,03 %. Wagenknecht kündigte an, Klage gegen das Wahlergebnis einzureichen, da sie Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung vermutet. Ob sie sich tatsächlich aus der Politik zurückzieht, wie sie es im Falle eines Scheiterns angekündigt hatte, bleibt abzuwarten.

Die FDP verfehlte mit 4,33 % ebenfalls den Einzug in den Bundestag. Parteichef Christian Lindner zog daraus Konsequenzen und kündigte seinen Rückzug aus der Politik an. Anders als Die Linke in der vorherigen Wahlperiode konnte die FDP keinen einzigen Direktkandidaten ins Parlament bringen. Die Wähler*innen haben der Partei das Vertrauen entzogen – eine Folge des Koalitionsbruchs und damit verbundenen Lügen sowie gebrochener Versprechen der letzten Jahre.

Proteste vor Parteizentralen und Wahlpartys in Berlin



Vor der Wahlparty der AfD in Wittenau kam es zu Protesten. Vor dem Veranstaltungsort am Eichhorster Weg demonstrierten mehrere Dutzende Menschen gegen die Partei. Dabei kam auch der „Adenauer SRP+“-Bus des Zentrums für politische Schönheit zum Einsatz. Eine Sirene mit über 100 Dezibel, die an Katastrophenwarnsysteme erinnerte, führte zu zahlreichen Notrufen von Anwohner*innen.

Die Polizei versuchte, mit den Veranstalter*innen der Kundgebung Kontakt aufzunehmen, konnte jedoch niemanden antreffen. Schließlich entschied sich die Einsatzleitung, den Bus zu stürmen. Dabei wurde die vordere Tür gewaltsam geöffnet und das Fenster zerstört. Drei Personen, darunter der Veranstalter und das Team des Busses, wurden vorläufig festgenommen. Der Bus wurde beschlagnahmt und von der Polizei gesichert. In der Folge löste sich die Kundgebung langsam auf.

Vor der FDP-Zentrale wurde ein symbolischer Sarg aufgestellt. Aktivist*innen schenkten Sekt aus, um den gescheiterten Wiedereinzug der FDP zu feiern.

Vor der CDU-Zentrale protestierten rund 70 Menschen gegen den Rechtsruck unter Friedrich Merz und forderten den Erhalt der Brandmauer zur AfD.

In Kreuzberg versammelten sich am Oranienplatz linksradikale Gruppen aus dem Umfeld von „Young Struggle“ und des pro-palästinensischen Spektrums unter dem Motto: „Unsere Wahl ist Widerstand – Gegen den Faschismus in den Kampf!“ Die Demonstration zog bis zum Hermannplatz, wo sie schließlich endete.

Bild: S.T Democratia Berlin 23.02.2025 „Unsere Wahl ist Widerstand – Gegen den Faschismus in den Kampf!“




Die dezentralen Aktionen verdeutlichen zugleich die Spaltung und Uneinigkeit innerhalb der antifaschistischen Bewegung. Eine kraftvolle, geschlossene Demonstration wie noch Anfang Februar blieb aus – ebenso fehlte eine vergleichbare Mobilisierung oder Vorbereitung.

Wohin steuert Deutschland?



Die neue Regierung steht vor einer entscheidenden Frage: Wie weit nach rechts darf die politische Landschaft noch kippen – und welche Lehren zieht sie daraus?

Die Geschichte zeigt, dass nationalistische Parolen und rechtsextreme Rhetorik in Krisenzeiten besonders gut verfangen. Zudem präsentiert sich AfD als Friedenspartei – ebenso wie das BSW und Die Linke. Doch während sich einige ihrer Vertreter nostalgisch an Russland klammern, bedient die AfD insbesondere im Osten gezielt prorussische Narrative. Wagenknecht und Teile der AfD zeichnen Putin als missverstandenen Staatsmann, mit dem man diplomatisch verhandeln kann.

Zum Wahlausgang bleibt festzustellen: Jede*r Fünfte in Deutschland hat sich bewusst für eine rechtsextreme Partei entschieden – oder zumindest keine Probleme damit, diese zu wählen. Vor allem Menschen mit geringem Einkommen und Sozialhilfeempfänger*innen trugen zum Erfolg der AfD bei. Doch viele scheinen das Parteiprogramm nicht gelesen oder nicht verstanden zu haben. Die AfD plant, Sozialleistungen massiv zu kürzen und Arbeitnehmerrechte abzubauen – Maßnahmen, die gerade ihre Wähler*innen am härtesten treffen werden.

Deutschland hat sich entschieden – und muss nun mit den Konsequenzen leben. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird sich mit den neuen Kräfteverhältnissen im Bundestag weiter vergrößern. Mehr Netto vom Brutto bedeutet für viele zugleich weniger soziale Sicherheit, eingeschränkte Gesundheitsversorgung und Kürzungen beim Bürgergeld. Falls die CDU keine Mehrheit mit SPD und Grünen findet, wird sie versuchen, ihre Pläne über die AfD durch den Bundesrat durchzusetzen.

Währenddessen reagieren die Finanzmärkte überraschend positiv: Die Aktien börsennotierter deutscher Unternehmen steigen. Ein fatales Signal, wenn man bedenkt, wer davon profitiert – und welche politischen Kräfte dadurch weiter gestärkt werden.

Deutschland steht vor einem Regierungswechsel mit ungewissem Ausgang. Der Verlust der FDP als liberale Kraft im Bundestag könnte sicherheitspolitische und wirtschaftliche Konsequenzen für Deutschland und Europa haben. In einer Zeit, in der Deutschland eine führende Rolle in der EU innehat, könnten die Folgen weitreichend sein.

Bild: S.T Democratia Berlin 23.02.2025 ,,AfD-Wahlparty stören“

Von admin

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